Blog, 13.10.2025

Was gutes Brot ausmacht – ein Gespräch zum Tag des Brotes mit den brotsüchtig-Gründern Oliver Raferzeder und Stefan Faschinger

Anlässlich des Tags des Brotes am 16. Oktober werfen wir einen genaueren Blick auf ein Lebensmittel, das für viele täglicher Begleiter ist – und doch oft unterschätzt wird: das Brot. Von Handwerk über Zeit bis hin zu Rohstoffen von Partner:innen aus der Region vereint Brot vieles von dem, was uns bei Slow Food wichtig ist. Zunehmend rückt dabei auch ein Thema in den Fokus, das über den Geschmack hinausgeht – die Gesundheit. Zum Tag des Brotes haben wir Oliver Raferzeder und Stefan Faschinger, die Gründer der Bio-Bäckerei brotsüchtig, zum Gespräch gebeten.

„Wir haben uns bewusst dafür entschieden, das Motto „Zeit ist Geld“ durch „Geschmack und Qualität brauchen Zeit“ zu ersetzen.“

Oliver Raferzeder und Stefan Faschinger

Oliver, ihr habt brotsüchtig 2016 gegründet und legt seit Beginn nicht nur Wert auf bio, sondern auch auf handwerkliche Produktion. Was bedeutet für euch heute das Handwerk des Bäckers, der Bäckerin – in einer Zeit, in der vieles industriell hergestellt wird?

Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zwischen handwerklicher und industrieller Fertigung ist die erzeugte Menge und die Schnelligkeit, mit der produziert wird. Das Problem ist, dass bei der industriellen Fertigung die Rezepturen möglichst einfach „gestrickt“ sein müssen und dem Teig nicht die nötige Zeit gegeben wird, um auf natürliche Weise die notwendigen Reifungsprozesse durchzumachen. Zur Beschleunigung der Prozesse arbeitet die Industrie mit vielen Hilfsmitteln und Additiven sowie mit fertigen Backmischungen, um die hohen Durchsatzraten, Backergebnisse und Volumina zu erzielen. Und die Effizienz wird natürlich noch höher, wenn von möglichst wenigen Sorten möglichst viele Stücke hergestellt werden. Das führt zu einem dramatischen Einheitsbrei in den Backstationen. Es fehlt einfach an der Vielfalt in den Rezepturen, an individuellen Geschmäckern und Formen, die die Österreicherinnen und Österreicher vom Bäckerhandwerk seit Jahrhunderten gewohnt sind.

Wir haben uns bewusst dafür entschieden, das Motto „Zeit ist Geld“ durch „Geschmack und Qualität brauchen Zeit“ zu ersetzen.

Woran erkennt man eurer Meinung nach ein gutes, ehrliches Brot, Stefan?

Ehrliches Brot braucht keine Zusätze, keine Abkürzungen. Es besteht aus wenigen natürlichen Zutaten – und viel Zeit. Wenn du am nächsten Tag noch Lust auf eine Scheibe hast, dann war’s ein gutes Brot (lacht).

Oliver, ihr legt sehr viel Wert auf die Herkunft der Rohstoffe. Eure Zutaten kommen seit Anbeginn direkt von Partner:innen aus der Region, sind hundert Prozent bio. Warum ist es euch so wichtig, genau zu wissen, woher das Getreide – aber auch die anderen Backzutaten – stammen?

Wir setzen von Anfang an auf den direkten Einkauf, weil wir wissen wollen, woher unsere Rohstoffe kommen – und wer dahintersteht. Brot beginnt für uns nicht in der Backstube, sondern auf dem Feld. Wenn wir mit Landwirt:innen zusammenarbeiten, kennen wir ihre Höfe, ihre Böden, ihre Überzeugungen.

Uns geht es aber auch darum, die Vielfalt und Schönheit der Kulturen auf unseren heimischen Feldern zu erhalten und zu fördern. Sonnenblumenkerne, Mohn oder Lein geben ein wunderschönes Landschaftsbild. Wenn wir diese Rohstoffe nicht hier kaufen, verschwinden sie irgendwann von unseren Feldern.

Für viele unserer Partner:innen ist es ein völlig anderes Arbeiten, wenn sie ihr Getreide nicht anonym an einen Großhändler abgeben, sondern direkt an uns. Sie sehen, was aus ihrer Ernte wird, sie können das fertige Brot in der Hand halten. Das schafft Sinn – für sie und für uns. Wir bieten ihnen eine Bühne für ihre Geschichten und machen sichtbar, was vielfältige, ökologische und regionale Landwirtschaft leisten kann.

In eurer „Emma Einkorn“ stecken gleich drei Urgetreide-Sorten: Emmer, Einkorn und Waldstaudenroggen. Was fasziniert euch an diesen alten Sorten, Stefan? Und worin seht ihr ihren besonderen Wert – geschmacklich, handwerklich?

Dieses Brot macht uns richtig stolz – alle drei Urgetreide-Sorten stammen vom Slow Food Produzenten Martin Allram. Martin hat 2005 seine Leidenschaft zum Beruf gemacht und auf dem Hof seiner Eltern in Dietmannsdorf im südlichen Waldviertel mit dem Anbau von Urgetreide nach biologisch-dynamischen Grundsätzen begonnen. Er bewirtschaftet mittlerweile 49 Hektar Ackerfläche und konzentriert sich auf rund 20 alte Sorten. Es ist für uns eine besondere Ehre, seine Leidenschaft fürs Urgetreide in unserer Backstube weiterzuführen und in jedem Laib erlebbar zu machen.

Urgetreide erzählen Geschichten – von einer Zeit, in der Getreide noch an Klima und Boden angepasst war, nicht an Ertrag oder Maschinen. Diese alten Sorten bringen Aromen, Farben und Strukturen mit, die man in modernen Züchtungen kaum noch findet. Jedes Korn hat Charakter – und genau das macht sie für uns so spannend. Aber sie fordern uns als Bäcker auch heraus, weil sie anders reagieren und sich anders verarbeiten lassen. Doch gerade das ist das Schöne: Wir müssen uns auf sie einlassen, auf ihre Eigenheiten.

Sauerteig spielt in fast all euren Broten eine zentrale Rolle. Was macht ihn so besonders – für euch persönlich, aber auch für euer Brot?

Seit unserer Gründung im Jahr 2016 hat der Sauerteig in unserer Backstube einen Ehrenplatz. Ob Krustav, Roger, Nora, Adam oder Volker – diese Brote werden alle mit Roggen-Vollkorn-Sauerteig gebacken. Sauerteig ist gelebte Natur – und das Fundament jedes echten Brotes. Verbinden sich gemahlene Getreidekörner und Wasser, beginnt bei angenehmer Umgebungstemperatur ein durch Mikroorganismen ausgelöster Gärungsprozess. Es entsteht ein eigenes kleines Ökosystem mit einer Vielzahl an Hefepilzen sowie Milch- und Essigsäurebakterien.

Der angesäuerte Teig dient bei der Herstellung von Brot nicht nur als natürliches Triebmittel, sondern schließt Getreide auf, verdaut es vor und verarbeitet die Stärke. Dadurch wird der Teig aufgelockert und bekömmlicher. Unser Sauerteig gibt den Broten darüber hinaus ihr einzigartiges Aroma – wie unsere Kund:innen immer sagen: „Es schmeckt wie früher!“ – hält sie länger frisch und saftig und beugt Schimmel vor.

Immer mehr Menschen interessieren sich für den Zusammenhang zwischen Brot und Gesundheit. Warum sind langzeitgeführte Brote so viel bekömmlicher als schnell hergestellte, Oliver?

Alle unsere Teige bekommen die Zeit, die sie zum Reifen brauchen. Unser Roger Roggen, ein fein vermahlenes reines Roggenvollkorn-Sauerteigbrot mit Kümmel, Fenchel und Koriander, durchläuft beispielsweise eine dreistufige Sauerteigführung und genießt eine Langzeitführung von bis zu 24 Stunden.

Diese langsame Reifung manifestiert sich nicht nur in einem einzigartigen Aroma, sondern macht lebensnotwendige Spurenelemente wie Eisen oder Zink erst für den Körper verfügbar. Und der Sauerteig schließt während der Langzeitführung – wie gerade erwähnt – das Getreide auf, verdaut es vor und verarbeitet die Stärke. Dadurch wird der Teig bekömmlicher.

Das Thema Mikrobiom ist gerade wortwörtlich in aller Munde. Langzeitgeführtes Sauerteigbrot gilt als besonders wertvoll für unsere Darmflora. Woran liegt das?

Ein gesundes Mikrobiom lebt von einer vielfältigen, nähr- und ballaststoffreichen Ernährung sowie vom regelmäßigen Konsum von probiotischen (also fermentierten) und schonend verarbeiteten Lebensmitteln. All das findet man in unserem Brot. Durch die lange Teigführung werden Nährstoffe besser verfügbar, Mineralstoffe können vom Körper leichter aufgenommen werden, und ein hoher oder sogar 100-prozentiger Vollkornanteil sorgt für wertvolle Ballaststoffe, die unsere Darmbakterien nähren. Der Sauerteig bringt abschließend die natürliche Fermentation ins Spiel.

Gibt es ein Brot aus eurer Produktpalette, an dem sich all diese Themen – Handwerk, Zeit, Herkunft, Gesundheit und Geschmack – besonders gut zeigen lassen?

Eigentlich trifft das auf all unsere Brote zu. Wir machen keine Kompromisse – weder bei den Zutaten noch bei der Zeit oder der Art, wie wir arbeiten. Jedes Brot, das aus unserer Backstube kommt, steht für das, woran wir glauben: ehrliches Handwerk, biologische Rohstoffe und Respekt vor dem, was wächst.

Und zum Schluss: Wenn ihr euren Kund:innen – und allen Brotliebhaber:innen – zum Tag des Brotes eine Botschaft mitgeben könntet, welche wäre das?

Stefan: Jeder Laib erzählt eine Geschichte – vom Korn, vom Boden, von den Händen, die ihn formen. Wenn man Brot bewusst genießt, spürt man genau das: die Verbindung zwischen Mensch, Natur und Handwerk.

Oliver: Ich wünsche mir, dass Menschen Brot wieder als das sehen, was es ist: ein lebendiges Lebensmittel, kein Industrieprodukt. Wer einmal echtes Brot gegessen hat, vergisst den Unterschied nicht.