Georg Friedl

Runzelige Karotten oder Äpfel, Paradeiser, die schon bessere Tage gesehen haben – was anderswo aussortiert wird und meist sogar im Müll landet, ist für Georg Friedl der Anfang einer kulinarischen Idee. Der Mühlviertler Koch, der mit dem „Mühlvierteln“ alte Rezepte seiner Heimat ins Heute geholt hat, findet im Lebensmittelretten seine größte kreative Herausforderung: nicht Luxusprodukte in Szene zu setzen, sondern Lebensmittel respektvoll zu behandeln – und daraus Gerichte zu schaffen, die schmecken.

Georg Friedl hat schon vieles gesehen in der Gastronomie: Fine Dining, Haubenküche, kreative Exzesse. Doch heute findet er in einem kleinen Regionalmarkt in Linz seine größte Herausforderung als Koch – und seine größte Freude. Im Winkler Markt, wo überschüssiges Gemüse aus Supermarktregalen in seiner Marktküche landet, beginnt für ihn das eigentliche Abenteuer: Lebensmittel retten, Reste verwerten, aus dem scheinbar Banalen das Beste machen. „Noch nie war ich so kreativ gefordert wie hier“, sagt er. Nicht, weil er Luxusprodukte zur Verfügung hat, sondern weil er mit dem arbeitet, was gerade da ist – Lupinenmehl im Zehn-Kilo-Sack, Paradeiser nach drei Tagen im Regal oder Kohlrüben, die sonst als Schweinefutter enden würden.

Für Georg ist das keine Notlösung, sondern ein radikal anderer Zugang zu Kreativität. Wo andere Köche ein Menü entwerfen und danach einkaufen, stellt er sich die umgekehrte Frage: Was ist da – und was mache ich daraus? Dabei gehe es nicht darum, seine eigene Handschrift in den Vordergrund zu stellen, sondern die Qualität und den Geschmack des Lebensmittels bestmöglich zur Geltung zu bringen. „Die Kreativität gehört nicht ins Ego“, sagt er. „Sie gehört ins Produkt.“

Dieser Zugang war nicht immer selbstverständlich. 2012 eröffnete Georg in Linz das Salzamt – ein Restaurant, das ihn schnell auf die Bühne der heimischen Gastronomie katapultierte. Doch mit wachsendem Erfolg stellte sich auch eine Leere ein: Das Kochen verlor für ihn an Sinn. „Alles wurde austauschbar“, erinnert er sich. „Es ging nur noch um Bewertungen, um Effekte, aber nicht mehr um die eigentliche Sache. Die Seele hat gefehlt.“ Georg kochte für Punkte und Kritiken – nicht mehr für das Lebensmittel selbst.

Die Entscheidung, auszusteigen, war ein Befreiungsschlag. „Kochen musste für mich wieder sinnhaftig werden.“ In der Marktküche des Winkler Marktes hat er diese Sinnhaftigkeit zurückgefunden. Dort kocht er mit dem, was übrigbleibt – und kreiert daraus ehrliche Gerichte für ein buntes Publikum: einmal traditionell österreichisch, einmal asiatisch, einmal inspiriert von Südfrankreich, wo er selbst gearbeitet hat – immer aber geprägt von Authentizität.

Dass Georg heute so denkt, wurzelt tief in seiner Biografie. Schon Mitte der 1990er-Jahre, lange bevor Regionalität zum Trend wurde, kochte er in der Waldschänke Grieskirchen mit weißen Rüben, blauen Erdäpfeln und Sauerklee – Produkte, die er mühsam zusammensuchte. „Damals war ich meiner Zeit voraus“, sagt er rückblickend. „Heute reden alle von Regionalität und Saisonalität. Für mich war das von Anfang an selbstverständlich.“

Diese Haltung führte schließlich zu seiner vielleicht prägendsten Initiative: dem „Mühlvierteln“. In einem Kochbuch und mit Pop-up-Wochenenden auf alten Bauernhöfen stellte er die bäuerliche Küche seiner Heimat in den Mittelpunkt – streng saisonal, streng regional, am Holzherd gekocht. Er forschte alten Rezepten nach, sprach mit betagten Köchinnen, blätterte in Archiven. Heraus kam ein Schatz an Gerichten, die fast vergessen waren: gebackene Nudeln, Mehlknödel, Roggenteige. „Das sind Gerichte, die die Kultur und den Jahreslauf des Mühlviertels geprägt haben“, sagt er. „Und sie verdienen es, in die Gegenwart geholt und nicht vergessen zu werden.“

Georg sieht sich deshalb nicht nur als Koch, sondern auch als Kulturvermittler. Für ihn gehören Produkt, Rezeptur und Geschichte untrennbar zusammen. „Du kannst nur dann wirklich gut kochen, wenn du das Lebensmittel und seinen Hintergrund kennst. Alles greift ineinander wie in einem Netzwerk.“

Sein heutiges Arbeiten im Winkler Markt verbindet all diese Fäden. Lebensmittel, die nicht mehr makellos sind, aber voller Wert stecken, werden bei ihm zum Ausgangspunkt für neue Gerichte. Mal entsteht daraus ein Kimchi aus Eisbergsalat, mal eine süß-fruchtige Würzsauce aus fermentierten Südfrüchten und Chili. Er macht Ricotta, Joghurt und Topfen selbst, legt Obst ein, kocht Sirup, destilliert Hydrolate aus Wildkarottensamen oder Quendel. In seinen Regalen stapeln sich Gläser; eine Tonne Lebensmittel hat er auf diese Weise allein 2024 konserviert und gerettet.

Was ihn daran fasziniert, ist nicht nur ein geschmacklich gutes Gericht zu kreieren, sondern auch die Haltung dahinter: jedes Produkt ernst zu nehmen, egal wie unscheinbar es wirkt. „Man kann nicht sagen: Mit dem will ich nichts machen. Das Lebensmittel ist da, also muss ich mich ihm stellen. Das ist für mich der eigentliche Respekt.“

Damit grenzt sich Georg bewusst von einer Gastronomie ab, die er allzu oft als austauschbar empfindet. Ein Lammrücken, sagt er, sei überall zu bekommen. Spannend werde es erst, wenn man tiefer gräbt – nach regionalen Rezepturen, alten Techniken, vergessenen Produkten. Ihn interessiert nicht das Salzwiesenlamm aus der Normandie, sondern der Mehlknödel aus dem Mühlviertel. Sein Urteil über die Branche ist klar: „Viele haschen nach der nächsten großen Idee, alle kochen dieselbe Tellersprache. Mich holt das nicht mehr ab. Ich will Gerichte, die Seele haben.“

Diese Seele sucht er heute nicht nur in alten Rezepten oder geretteten Lebensmitteln, sondern auch im direkten Kontakt mit den Menschen. Die wirkliche Anerkennung, sagt er, ist nicht eine Bewertung im Gourmetführer, sondern wenn Gäste drei- oder viermal die Woche wiederkommen, weil es ihnen schmeckt und guttut. „Dann weiß ich, dass ich etwas richtig mache – und das ist mehr wert als jede Haube.“

„Du kannst nur dann wirklich gut kochen, wenn du das Lebensmittel und seinen Hintergrund kennst. Alles greift ineinander wie in einem Netzwerk.“

Georg Friedl

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