Für Josef Floh beginnt gute Küche nicht am Herd, sondern auf den Feldern und Höfen der Region rund um seine Gastwirtschaft in Langenlebarn. Mit seinem „Radius 66“ hat er schon vor beinahe zwei Jahrzehnten ein Prinzip geprägt, das ihn zu einem der Pioniere einer neuen Nähe zwischen Küche und Landwirtschaft machte. Guten Geschmack, biologische Produktion und faire Beziehungen miteinander zu verbinden – das ist für ihn die Königsdisziplin.
Aufgewachsen ist Josef Floh mitten im Wirtshaus seiner Familie. Schon früh wusste er, dass ihn das Kochen faszinierte. Nach der Hauptschule in Tulln besuchte er die Hotelfachschule im WIFI St. Pölten – geprägt, wie er sagt, von Lehrerlegenden wie Leopold Labenbacher. Praktika führten ihn nach Fuschl am See („300 Eisbecher in drei Stunden“) und nach Reitz bei Kitzbühel, ehe ihn sein Weg zu Toni Mörwald nach Feuersbrunn und zu Heinz Winkler nach Aschau im Chiemgau brachte. „Sie haben mir viel mitgegeben – vor allem die Leidenschaft fürs Kochen“, sagt er.
Als seine Eltern gesundheitlich angeschlagen waren und der Hof samt Gasthaus vor einem Umbruch stand, kehrte er 1993 nach Langenlebarn zurück. Er krempelte die Ärmel hoch, baute das Gasthaus um – mit jugendlichem Elan und einer ordentlichen Portion Unbekümmertheit, wie er erzählt. 1994 übernahm er den Betrieb offiziell. „Bei Toni Mörwald hab ich gelernt, was guter Wein kann – und wie eng das mit gutem Essen verbunden ist.“ So entstand die Vision vom „guten Wein und guten Wirtshaus“. Dazu kam von Anfang an viel Selbstgemachtes – Josefs Vater, gelernter Fleischhauer, hatte immer schon viel selbst produziert – wie Blunzn und Bratwürstl – und im Wirtshaus serviert.
Ein entscheidender Moment für seine Philosophie kam – unscheinbar – in einem Gespräch mit einem befreundeten Tierarzt. „Wir sind zusammengesessen, und er hat so dahin gesagt: ‚Ihr tut‘s da so umanand beim Wein. Werdet‘s sehn, das wird beim Essen auch kommen.‘“ Dieser Satz blieb hängen. „Das war der Moment, wo’s bei mir Klick gemacht hat“, erzählt Josef. „Ich hab mir gedacht: Stimmt eigentlich.“
Er nahm einen Schulatlas, schlug den Zirkel auf und zog einen Kreis rund um Langenlebarn – 33 Kilometer Radius. Als er merkte, dass bestehende Produzent:innen nicht mehr drin waren, erweiterte er auf 66 Kilometer. Entscheidend war und ist nämlich nie die exakte Distanz, sondern vielmehr die Beziehung. „Es geht nicht um Kilometer, sondern um Menschen. Durch den Radius haben wir gelernt, genauer hinzuschauen.“
Und dann zog er los – mit Rad und Auto – und klapperte Bauernhöfe, Hinterhöfe, Gärtnereien und kleine Betriebe ab. „Ich wollte wissen: Wer sind die Menschen? Wie arbeiten sie? Warum machen sie das, was sie machen?“ Josef begann, seine Produzent:innen fotografieren zu lassen und ihre Namen auf der Speisekarte zu erwähnen. „Damals war das völlig verrückt“, sagt er. „Die Gäste waren teilweise sicher auch überfordert, die Karte fast unlesbar. Aber das war mir einfach wichtig.“ 2009 gab er seinem Ansatz einen Namen: Radius 66.
Heute stammen über 90 Prozent der Zutaten in der Gastwirtschaft aus diesem Netzwerk – rund 70 Lieferant:innen zählen dazu. Zitronen verwendet Josef, Olivenöl hingegen hat er verbannt. Exotische Früchte gibt es kaum – es sei denn, Bio-Pionier Alfred Grand baut Physalis, Kurkuma oder Ingwer im Tullnerfeld an. Und Schokolade? „Ohne Schokolade kann ich nicht leben“, sagt er.
Und dann noch die alten Getreidesorten, die ihm ein besonderes Anliegen sind. Einkorn, Waldstaudenroggen, Emmer – gemeinsam mit Landwirt:innen wie Martin Allram arbeitet Josef seit Jahren daran, diese Sorten zurück in den Alltag zu bringen. „Ein Einkorn-Risotto mit alten Karottensorten – das ist so ein Gericht, das mich mit Energie erfüllt. Weil du schmeckst, wie viel Herzblut in jeder Zutat steckt.“
Partnerschaft mit der Landwirtschaft bedeutet für ihn aber weit mehr, als direkt bei Produzent:innen einzukaufen. „Wenn mich ein Produzent anruft und sagt, dass er eine Überproduktion hat, dann ist klar, dass ich ihm so viel wie möglich abnehme. Wir legen das ein, kochen es ein – und so entsteht Vorrat fürs ganze Jahr.“ Seine Vorratskammer ist legendär: Mehr als 10 000 Gläser füllt er gemeinsam mit seinem Team jährlich – Eingelegtes, Röster, Chutneys, Säfte, Essiggemüse. „Das trägt uns durchs Jahr. Und es ist der ehrlichste Weg, Regionalität zu leben – so, wie’s früher selbstverständlich war.“
2010 ließ sich Josef die Gastwirtschaft bio-zertifizieren. „Ich hab’s mir eine Zeitlang nicht getraut“, sagt er, „aber es war nur konsequent.“ Für ihn war das kein ideologischer Schritt, sondern einer der Logik. „Regionalität und Bio sind keine Gegensätze – sie gehören zusammen.“ Viele seiner Partner:innen arbeiten biologisch, manche ohne Zertifikat. „Manche sind so klein, dass es sich gar nicht lohnt. Aber dann rede ich einfach mit ihnen – und manche lassen sich dann doch zertifizieren. Ich hab da einen klaren Plan, aber ich bin nicht dogmatisch. Wenn mir der Nachbar aus seinem Garten Gurken bringt, die nicht bio-zertifiziert sind, dann nehm ich sie trotzdem, weil ich genau weiß, wie er arbeitet. Das geht sich sonst im Kopf nicht aus.“
Das Thema Bio ist ihm besonders in der Gastronomie wichtig. „Viele glauben, dass man alles in Bio haben muss, wenn man sich als Gastronomiebetrieb zertifizieren lässt – aber das stimmt nicht. Man weist einfach den Prozentanteil der Bio-Lebensmittel aus und lässt das kontrollieren, fertig. Auch wir haben kleiner angefangen und uns über die Jahre gesteigert. Mittlerweile liegt der Bio-Anteil bei uns über 85 Prozent.“ Ja, die Zertifizierung sei ein Mehraufwand, aber einer, den er gern in Kauf nimmt. „Ich mach das, weil es mir wichtig ist – weil ich’s mittransportieren will. Eine gewisse Portion Eigeninitiative und Leidenschaft gehört in der Gastronomie einfach dazu.“
Für Josef hört Entwicklung nie auf – weder am Teller noch im Betrieb. Im Laufe der letzten dreißig Jahre habe sich vieles verändert – in der Gastronomie ebenso wie bei ihm selbst. Was die Arbeitsbedingungen betrifft, sieht Josef den großen Veränderungsgedanken bereits im Gange. Immer mehr Menschen kämen als Quereinsteiger:innen in die Gastronomie, zwischen dreißig und fünfzig, mit neuer Leidenschaft und Lebenserfahrung. „Es braucht Menschen, die das, was wir in der Küche tun, an den Tisch bringen – die die Geschichte eines Produkts erzählen können. Der Service und seine herzliche, persönliche Betreuung ist genauso wichtig wie die Küche.“
Was für ihn gut, sauber und fair bedeutet? „Alle drei Dinge zusammenzubringen, ist für mich die Königsdisziplin“, sagt er. „Am Ende muss die Qualität über allem stehen.“ Und er erzählt, wie sehr ihn dafür auch wieder der Austausch mit Produzent:innen bereichert: „Wenn du mit ihnen sprichst, spürst du Wissen, Energie, Leidenschaft – und genau das landet dann in Form von Qualität auf dem Teller. Jeder Input verändert mich, und auch den Betrieb.“
Was für ihn in der Zusammenarbeit mit Produzent:innen gilt, lebt er auch im eigenen Haus. Er hat einen eigenen bio-zertifizierten Küchengarten und schickt seine Mitarbeiter:innen regelmäßig hinaus. „Das ist das Wichtigste: zu sehen, wie’s wächst, wann etwas reif ist, warum etwas gerade Saison hat.“ Er nimmt sein Team auch zu den Produzent:innen mit. „Man kann nicht erwarten, dass jemand Wertschätzung für Lebensmittel hat, wenn er nie gesehen hat, wie sie angebaut werden.“
Bildung und Wissen sind Josef nicht nur in seinem eigenen Betrieb wichtig, sondern für ihn einer der zentralen Hebel überhaupt. Deshalb wünscht er sich ein Unterrichtsfach Lebensmittel und Ernährung. „Wenn du Kinder dafür begeisterst, Lebensmittel anzufassen, zu riechen, zu schmecken – dann wächst ein anderes Bewusstsein. Das ist ein Generationenprojekt.“
Mehr über die Gastwirtschaft Floh erfährst du hier.
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