Seine Gerichte bestehen selten aus mehr als drei Elementen – und doch eröffnen sie eine ganze Welt. Michael Wankerl zeigt in seiner „Gerüchteküche“ in Graz, dass pflanzliche Küche keine Einschränkung ist, sondern purer Geschmack – und pure Freiheit.
„Viele sehen pflanzliche Küche als Einschränkung. Für mich ist sie Befreiung. Man wird offener, freier im Kopf, man beschäftigt sich viel mehr mit dem, was da ist.“ Mit dieser Haltung hat Michael Wankerl seine „Gerüchteküche“ in Graz zu einem Ort gemacht, der nicht missioniert, sondern begeistert. Sein Menü ist radikal pflanzenbasiert, reduziert auf das Wesentliche – und zeigt, dass es dabei nicht um Ersatzprodukte oder Dogmen geht, sondern um Klarheit, Präzision und den Geschmack guter Grundprodukte.
Eigentlich hätte alles ganz anders kommen sollen. Michael begann nicht am Herd, sondern in der Werkstatt – mit einer Lehre als Energieanlagentechniker in Nürnberg, seiner Heimatstadt. Als der Betrieb pleiteging, nahm er ein Umschulungsangebot an und wurde Koch. Über das Restaurant Bachmair am Tegernsee führte ihn sein Weg nach München zu Karl Ederer, nach Rom zu Heinz Beck ins „La Pergola“, an den Gardasee ins „Palazzo Arzaga“, schließlich zurück nach Deutschland, wo er als Küchenchef ein Restaurant mit Biergarten mit 350 Plätzen leitete – „das Gegenteil von dem, was ich heute mache.“ Prägend bleibt ein Satz seines damaligen Executive Chefs in Italien: „Du musst open-minded sein, sonst kannst du noch so gut kochen – du wirst ein Spitzenkoch sein, aber nichts erreichen.“ Eine Haltung, die ihn bis heute begleitet. Durch einen Zufall kommt er nach Graz, wo er 2014 die „Gerüchteküche“ eröffnet – und beginnt, die Erfahrungen seiner Umwege konsequent neu zusammenzuführen.
Sein Anspruch: radikal reduziert, saisonal, kompromisslos regional. „Man muss nicht jeden Tag die Welt neu erfinden. Aber man kann immer genauer werden.“ Mehr als drei prägnante Elemente brauche es nicht auf einem Teller, sagt er – „aber die so deutlich wie möglich“, oft getragen von der Spannung der Säure, die für ihn essenziell ist.
Anfangs setzte er auf Ganz-Tier-Verwertung, bezog Murbodner Rinder und Schweine von einem befreundeten Bauern. Doch weil die Mengen stark begrenzt waren, rückte Gemüse immer mehr ins Zentrum. Während der Corona-Lockdowns stellte er alles auf den Prüfstand: „Ich hatte sieben Monate Zeit, intensiv über mein Konzept nachzudenken. Was habe ich die letzten 30 Jahre gemacht – und was davon ist wirklich notwendig?“ 2021 stellt er seine Küche vollständig um: ausschließlich pflanzlich. „Es muss einfach richtig gut schmecken – egal ob jemand Fleisch isst oder nicht.“ Rund 70 Prozent seiner Gäste seien Fleischesser, „aber sie kommen, weil sie nichts vermissen.“
Seine Grundprodukte bezieht Michael ausschließlich direkt von Produzent:innen. Über Preise diskutiert er nicht mit ihnen. „Das führt nie zu einem guten Produkt. Fairness heißt: ein Preis, der beiden Seiten ein gutes Leben ermöglicht.“ Wirtschaftlich muss es trotzdem bleiben, weshalb er Gemüse konsequent zero waste verarbeitet: Schalen landen etwa im Fond, was saisonal im Überfluss vorhanden ist, wird eingekocht oder fermentiert. „In Italien am Markt fragt niemand nach dem Preis – dafür bekommt man ein geiles Produkt. Anstatt zu fragen, warum etwas teuer ist, sollte man sich fragen: Warum ist das andere so billig?“
Die enge Zusammenarbeit bringt auch eigene Produkte oder Gerichte hervor: Der Aschacherhof, ein Biohof im Grazer Bezirk Ries, entwickelte für ihn eine saure Sahne – eine Spezialität, die Michael noch aus seiner Heimat in der Oberpfalz kennt. Auf Märkten überredet er einen Gemüsebauern, den Lauch lange stehen zu lassen, um auch die Blüten ernten zu können. Eine Standlerin hebt ihm das Karottengrün auf, weil die meisten Kund:innen die Karotten lieber ohne kaufen – und sie aber weiß, dass Michael es gerne weiterverarbeitet. Zwei junge Grazer Bio-Produzent:innen brachten ihm eines Tages Tauernroggen aus eigenem Anbau zum Probieren vorbei. Heute verkocht er nicht nur deren geschliffenen Tauernroggen zu Risotto, sondern entwickelt damit auch neue Produkte wie eine vegane Breinwurst. „Nur wenn man hinfährt, redet, probiert, entstehen solche Dinge.“ So wird sein Menü fast wöchentlich neu geschrieben, geprägt von dem, was Saison und Region hergeben.
Auch im Umgang mit Gästen geht er eigene Wege. In der Gerüchteküche gibt es nur Abendservice, alle Gäste starten gemeinsam um 18:30 Uhr mit einem sechsgängigen Überraschungsmenü. Serviert wird von ihm selbst – ein Konzept, das reibungslose Abläufe und viel Vorbereitung erfordert, aber auch Nähe zu den Gästen schafft. „Nach dem Menü haben wir Fragestunde“, sagt er. „Meine Gäste können von mir alles haben – die Rezepte genauso wie die Kontaktdaten meiner Produzent:innen. Es gibt keine Geheimnisse.“
Für ihn ist das eine Win-Win-Situation. „Ich mache nur noch, worauf ich Lust habe – und den Gästen gefällt das, weil sie genau wissen, worauf sie sich einlassen.“ Freiheit sei überhaupt das Schönste an der Gastronomie, sagt er – eine Freiheit im Kopf, open-minded, wie es ihm schon sein Mentor am Gardasee mitgegeben hat. Diese Botschaft möchte er auch jungen Kolleg:innen in der Branche weitergeben. Am Ende aber gehe es doch nur um eines: eine gute Zeit. „Im Restaurant geht es nicht um mich als Koch. Es geht um den Gast. Ich will meinen Gästen einfach einen schönen Abend mit guten Produkten und gutem Essen machen – nicht mehr und nicht weniger.“
Mehr über die Gerüchteküche erfährst du hier.
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