Eschenau

Rafael Pils

Gasthof Pils

Zwischen Wirtshausklassikern, Hip-Hop im Schanigarten und radikaler Ehrlichkeit in der Küche zeigt Rafael Pils, wie Tradition und Moderne zusammengehen: entspannt, kompromisslos und mit dem Willen, das Ursprüngliche neu zu denken.

„Ich koche primär für uns – die Gäste kommen dazu“, sagt Rafael Pils. Was wie Understatement klingt, ist in Wahrheit Philosophie: Druck rausnehmen, ehrlich kochen, Gastgeber sein. Mit dieser Haltung führt er das Gasthaus seiner Familie in Rotheau in sechster Generation – flexibel, transparent und kompromisslos im Umgang mit Produkten.

Rafael ist Wirt aus Überzeugung – aber ohne Tamtam. Schon als Kind stand er am Stockerl in der Küche, drehte mit, als fürs örtliche Feuerwehrfest 3000 Cevapcici gerollt wurden. Am Abend wollte er nur wissen: „Papa, wie hat’s den Leuten geschmeckt?“ Aufgewachsen in einer Wirtshausfamilie und mit einem Großvater, der als Fleischhauer Tag für Tag ganze Tiere zerlegte, war Kochen für ihn von klein auf selbstverständlich.

Nach der Lehre führten ihn seine Stationen vom Landhaus Bacher in Mautern über den Arlberg bis in die Gastwirtschaft Floh in Langenlebarn. Dort erkannte er endgültig, dass er sich noch mehr als im Service am Herd sieht. „Bei Josef Floh hab’ ich das erste Mal gemerkt, dass ich in die Küche will.“ Bis heute nennt er ihn seinen wichtigsten Lehrmeister: „Für mich ist er der Pionier in der österreichischen Gastronomie. Das Unkomplizierte hat mich fasziniert. Er hat nie viel Tamtam um seinen Aufwand gemacht – alles kam aus einem natürlichen Verständnis.“ Seine nächste Station – eine Wanderhütte mit 800 Essen an einem Wochenende – zeigte ihm hingegen, was er nicht für immer machen wollte. Schließlich kehrt er nach Hause zurück und übernimmt das elterliche Gasthaus – und damit auch vieles, was er von seinem Vater gelernt hat.

Das Verständnis für Kreisläufe ist in Rafaels Familie selbstverständlich: Sein Vater züchtet Jura-Lämmer in Bio-Qualität. „Übers Jahr gibt’s rund 43 Lämmer – wenn sie aus sind, sind sie aus.“ So klar, so einfach. Auch die Küche hält sich an dieses Prinzip. Gekocht wird in Mikrosaisonen – mit dem, was gerade gejagt, geschlachtet oder geerntet wird. Die Speisekarte kann dreimal pro Woche wechseln. Die Jäger:innen bringen Gams, Hirschkalb, Mufflon. Auch bei der Fleischverarbeitung geht er aufs Ganze: Beuschl, Leber, Kopf – alles kommt auf den Teller. Ein ehrliches Wirtshaus sei für ihn damit kein bisschen weniger aufwändig als Fine Dining: „Ein Rind zerlegen kostet mich einen ganzen Tag. Beuschl schneiden dauert neun Stunden. Eine Garnele auftauen und grillen geht schneller.“ Und außerdem: „Wirtshaus ist viel sexier als Restaurant“, wie er sagt.

Rund 300 Kilometer fährt er pro Woche, um Produkte direkt bei seinen knapp 30 Produzent:innen abzuholen. „Ich baue nicht selbst an, dafür bin ich bei den Produzent:innen extrem.“ Auf der Karte nennt er alle namentlich. „Die Leute sollen ruhig anrufen und nachfragen, ob ich wirklich die Produkte von dort beziehe. Das ist für mich Transparenz und Ehrlichkeit gegenüber dem Gast.“ Kritisch hingegen sieht er, wenn Regionalität ganz Europa meint. Oder Bio-Lebensmittel, die aus aller Welt hergeschifft werden – nur um der Bio-Zertifizierung willen. „Wozu brauche ich einen Bio-Apfel aus Deutschland, wenn mein Nachbar Apfelbäume hat? Oder Avocados – nimm doch einfach eine Gurke. Und warum Käse aus der Schweiz, wenn 100 Meter Luftlinie von uns ein super Schafmischkäse produziert wird?!“

Ob Cordon bleu mit kleinem Bier oder sechs Gänge im „Best-of-Pils“-Menü – das entscheidet der Gast. „Die Leute sehnen sich nach etwas Normalem. Überall muss man performen – sogar als Gast beim Essen.“ Rafael ist überzeugt: Gastronomie darf auch einfach nur Entspannung und Genuss sein. Man müsse nicht jedes Gericht mit langen Erklärungen überfrachten, sondern einfach gut kochen und ehrlich gastfreundlich sein. Sein Gasthaus soll genau dieser Ort der Entspannung sein: gemütliche Stube, schattiger Schanigarten mit Bühne – auch für Hip-Hop-Events. „Früher hat’s in jedem Wirtshaus eine Bühne gegeben.“

Ein Wirtshausklassiker, der für ihn nicht fehlen darf: geschmorte Rindsroulade vom Nachbarsrind mit Erdäpfelpüree aus Finka-Erdäpfeln vom Biohof Gugerell. „Die sind so gut, dass das Püree gelb wie die Sonne ist.“ Und freilich ein Herzensgericht, das ihn seit Kindheitstagen begleitet: die Cevapcici. Auch vegetarisch und vegan kocht Rafael – aber: „Wir wollen mit Produkten vom Acker etwas machen. Wenn ich vegane Ersatzprodukte in Plastikverpackung sehe, verliert das für mich jede Berechtigung.“ Seine Schwester Tina, die den Service leitet, lebt seit Jahren vegetarisch. Der Anspruch ist also hoch – und folglich alles hausgemacht. Statt Seitanschnitzerl gibt es etwa Spinatknödel mit Malabar-Spinat von der Marktgärtnerei Grünzeug vom Feld und Schafmischkäse-Hollandaise.

Für Rafael ist Gastronomie auch ein politischer Ort. „Beim Essen ist es egal, woher du kommst oder welche Hautfarbe du hast – am besten ist es, wenn alle an einem Tisch sitzen.“ Er will auch das Arbeiten in der Gastronomie neu denken: Fehler dürfen passieren, niemand soll überfordert sein. „Unsere Weinkarte hat 900 Positionen. Niemand muss die auswendig können. Viel wichtiger ist, dass das kleine Bier gut gezapft ist, der Spritzer oder der Häferlkaffee gut schmecken.“ Kleiderordnung? Gibt es nicht. „Ich kann ja nicht verlangen, dass eine 53-Jährige dasselbe trägt wie eine 19-Jährige. Außerdem könnte ich dann selbst nicht mehr in Badeschlapfen und kurzen Hosen kochen.“

Das Wirtshaus ist auch Lernort. Für seinen Sohn Felix, gerade einmal vier Jahre alt, genauso wie für Kinder in seinen Kinderkochkursen. Felix weiß, wo die Brunnenkresse wächst, er ist dabei, wenn beim Reh die Decke abgezogen wird. „Ich will ihm zeigen, wie schön Kochen ist, wie schön Gastronomie ist – nicht, wie man Leute anschreit, ständig gestresst ist oder sich abends noch mit Alkohol beruhigt.“ Die Arbeit ist hart, das macht er nicht klein. „Viele Stunden, viel Verantwortung, viele Leute, die sich auf dich verlassen.“ Und trotzdem: „Wie geil ist es, dass du ständig die besten Sachen kosten kannst?!“

Diesen Anspruch – ja, auch den Umgang mit Essen – sieht er als Aufgabe. Gerade bei Kindern. Jeden Samstag gibt er deshalb Kinderkochkurse. „Ich war selbst Kind, ich liebe Fischstäbchen noch immer. Aber man kann sie auch aus Lachsforelle in guter Qualität selber machen.“ Oder Bolognese mit selbstgemachter Paradeisersauce oder Nudelteig aus Ei und Mehl. „Die Kinder sollen schmecken, kneten, werkeln und so ihren eigenen Zugang zum Essen finden“, sagt er.

Übrigens: 

Mehr über den Gasthof Pils erfährst du hier.

„Wirtshaus ist viel sexier als Restaurant.“

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