Im Rahmen der Veröffentlichung des Films „The Pickers“ sprechen wir mit Theresa Wurm vom Slow Food Betrieb Nachbars Garten über faire Bedingungen für Erntehelfer:innen – und darüber, wie es gelingen kann, auch in der Saisonarbeit nach den Prinzipien gut, sauber, fair zu handeln.
Theresa, bevor wir ins Thema einsteigen: Magst du uns kurz erzählen, was Nachbars Garten ausmacht – was ihr anbaut, wie ihr arbeitet und was euch dabei besonders wichtig ist?
Ja, gerne. Wir sind ein Gemüsebaubetrieb in Oftering und vermarkten unter der Marke Nachbars Garten unser Gemüse und Obst. Wir bewirtschaften eine Fläche von 120 Hektar, davon kultivieren wir auf 40 bis 45 Hektar Gemüse und Obst. Der Rest der Fläche ist Begrünungsfläche bzw. Getreideanbau.
Da wir unsere Felder biologisch bewirtschaften, ist für uns die Fruchtfolge sehr wichtig – also, wie ich den Boden nährstoffbezogen optimal auf die Folgekultur vorbereiten kann. Uns ist eine bodenschonende Bearbeitung ein großes Anliegen. Das heißt: Wir achten auf das Lebewesen Boden, setzen keinen Pflug ein (eine zu tiefe Bearbeitung stört die Bodenstruktur) und arbeiten nicht mit schweren Geräten (Stichwort Bodenverdichtung). Die Hackarbeit erfolgt zu einem großen Teil händisch, geerntet wird zu 100 % per Hand. Unser Boden ist unser wichtigstes Gut.
In eurem Betrieb arbeiten über das Jahr verteilt verschiedene Menschen mit. Wer unterstützt euch wann – und wie sieht euer Team im Jahresverlauf aus?
Wie vorhin schon erwähnt, gibt es bei uns noch sehr viel Handarbeit – das erfordert eine Vielzahl an Mitarbeiter:innen. Neben unseren fixen Mitarbeiter:innen arbeiten auch viele Saisonarbeitskräfte am Hof mit. Je nach Kulturzeit variiert deren Anzahl von etwa 5 Personen in der Nebensaison bis zu 20 in der Haupterntezeit.
Welche Rolle spielen Erntehelfer:innen bei euch? Gibt es bestimmte Kulturen, bei denen ihre Unterstützung besonders wichtig ist?
Von der Anzucht der Pflanzen bis zur Ernte und Aufbereitung sind Saisonarbeitskräfte in alle Arbeitsschritte eingebunden. Sie sind also ein sehr wichtiger Bestandteil unseres Betriebs.
Woher kommen die Mitarbeiter:innen, die euch in der Saisonarbeit unterstützen? Du hast unlängst erzählt, dass die Frauen hauptsächlich aus der Ukraine kommen, die Männer überwiegend aus dem Kosovo. Warum, glaubst du, ist das so?
Genau, der Großteil der Frauen kommt aus der Ukraine – und das schon vor Kriegsbeginn – und der Großteil der Männer aus dem Kosovo. Wir haben aber auch Mitarbeiter:innen aus Polen, Bosnien, der Slowakei und Nordmazedonien. Die Löhne in den jeweiligen Ländern sind sehr niedrig, für viele gibt es daher nur einen Ausweg: Arbeiten im Ausland. Das bringt viele Bürden mit sich. Allein die Tatsache, dass man etwa ein halbes Jahr getrennt von der Familie lebt und arbeitet, ist für viele Österreicher:innen unvorstellbar. In der Ukraine herrscht seit drei Jahren Krieg – eine Belastung, die für sich allein schon schwer genug ist. Krieg bedeutet aber auch: Die Männer müssen im Land bleiben, die Frauen fahren ins Ausland, um Geld zu verdienen. Um die Kinder kümmern sich oft die Großeltern. Aus einer ähnlichen Situation heraus hat sich auch die Lage im Kosovo entwickelt: Dort sind es aber die Männer, die ins Ausland gehen, während sich die Frauen daheim um Haus und Familie kümmern.
Gibt es Unterschiede bei den Aufgaben – also Arbeiten, die eher von Frauen oder eher von Männern übernommen werden?
Natürlich gibt es Unterschiede. Die körperlich anstrengenderen Arbeiten werden meist von Männern übernommen. Frauen haben oft ein besseres Auge für Qualität – das ist bei der Ernte von Physalis und Erdbeeren besonders wichtig.
Wie ist das Wohnen bei euch am Hof organisiert? Wie viele Personen teilen sich ein Zimmer, und wie sind Küche und Bad geregelt?
Ein Großteil der Saisonarbeitskräfte wohnt bei uns im Hauptgebäude am Hof. Zusätzlich gibt es Platz für vier Frauen in einem Nebengebäude – dem ehemaligen Backhaus. Die Frauen lieben es, es ist immer von denselben Damen bewohnt und dementsprechend liebevoll eingerichtet und gepflegt. Männer und Frauen schlafen bei uns maximal zu zweit in einem Zimmer. Es gibt insgesamt drei Küchen und mehrere Bäder. Zusätzlich stehen Räumlichkeiten zum Wäschewaschen, Trocknen usw. zur Verfügung. Da viele unserer Saisonarbeitskräfte bereits seit über zehn Jahren bei uns mitarbeiten, sind über die Jahre enge Freundschaften entstanden. Die schönste Geschichte ist wohl die Heirat eines Kosovaren und einer Slowakin, die sich vor über zehn Jahren bei uns kennengelernt haben. Mittlerweile sind beide ganzjährig angestellt – und im Juli kommt ihr erstes Kind.
Worauf legst du bei der Unterbringung besonderen Wert?
Es sollen sich alle wohlfühlen.
Du hast erzählt, dass es einen eigenen Landarbeiter:innen-Kollektivvertrag gibt. Wie sorgst du dafür, dass die Arbeit fair entlohnt wird? Nach welchen Prinzipien richtet sich die Bezahlung?
Wir bezahlen unsere Mitarbeiter:innen in vielen Bereichen über Kollektiv. Zusätzlich gilt: Je mehr Erfahrung und Verantwortung jemand mitbringt, desto höher ist die Entlohnung.
Wie läuft das konkret ab – von der Anmeldung über die Stundenlisten bis zur Auszahlung des Lohns?
Sobald die Saisonarbeitskräfte vor Ort sind, werden sie angemeldet. Oft gibt es davor schon einige Schritte – zum Beispiel die Visumsausstellung. Dafür vereinbaren wir Termine in den jeweiligen Botschaften. Vorab läuft auch ein sogenanntes Ersatzkräfteverfahren über das AMS – das betrifft alle, die noch keine Stammsaisoniers sind. Dabei wird geprüft, ob es nicht eine inländische Arbeitskraft gäbe, die die Stelle übernehmen könnte. Die Saisonarbeitskräfte führen Stundenlisten, und am Ende des Monats wird der Lohn entweder aufs Konto überwiesen oder bar ausbezahlt.
Wie handhabt ihr Pausen, Verpflegung und freie Tage – etwa den Sonntag als Ruhetag?
Bei uns gibt es eine Stunde Mittagspause. Der Sonntag ist immer Ruhetag. Für die Verpflegung stellen wir den Saisonarbeiter:innen Lebensmittel zur Verfügung. Urlaub gibt es – wie für alle anderen Angestellten in Österreich – aliquot zur Anstellungsdauer.
Viele eurer Erntehelfer:innen kommen seit Jahren regelmäßig wieder. Warum, glaubst du, ist das so?
Ich glaube, sie fühlen sich bei uns wohl und arbeiten gern hier. Die Mitarbeiter:innenakquise läuft bei uns fast ausschließlich über Mundpropaganda – ein großer Vorteil, denn so besteht das Team meist aus Menschen, die sich gut verstehen. Und das ist bei so vielen verschiedenen Nationalitäten und Kulturen nicht selbstverständlich.
Ist über die Jahre eine Art „Team auf Zeit“ entstanden?
Ja, genau. Wir haben mittlerweile ein tolles Team aus fixen Mitarbeiter:innen und Saisonarbeitskräften aufgebaut. Das war nicht immer so – und ich finde, man muss wirklich etwas dafür tun, dass das so bleibt. Nur mit einem engagierten Team funktioniert der Arbeitsalltag gut.
Der Film The Pickers zeigt sehr eindrücklich, wie verbreitet Ausbeutung in der Landwirtschaft ist. Warum, glaubst du, läuft es in vielen Betrieben so – und was müsste sich deiner Meinung nach ändern?
Oft liegt es an der Größe der Betriebe. Es gibt Betriebe, in denen man als Betriebsleiter:in gar nicht mehr alle Saisonarbeitskräfte persönlich kennt. Wenn die Arbeitsdauer dann auch noch auf wenige Wochen beschränkt ist, gibt es oft Vorarbeiter:innen, die massiven Druck auf die Erntehelfer:innen ausüben. Und nicht selten weiß man als Betriebsleitung gar nicht, was im Hintergrund passiert – sei es wegen der Hierarchie oder wegen sprachlicher Barrieren. Ein wertschätzenderer Umgang wäre ein guter Anfang. Egal woher die Mitarbeiter:innen kommen – sie sind alle wichtig.
Was sagst du Betrieben, die meinen: „Anders geht’s nicht“?
Schaut auf eure Mitarbeiter:innen. Unterschätzt nicht, wie wichtig einzelne Arbeitsschritte sind – und wie positiv es sich auswirkt, wenn erfahrene und motivierte Menschen am Werk sind.
Slow Food steht für ein gutes, sauberes und faires Lebensmittelsystem. Was bedeutet für dich „fair“ ganz konkret im Alltag?
Wertschätzung – den Mitarbeiter:innen, den Lebensmitteln und dem Boden gegenüber.
Was müsste sich politisch ändern, damit faire Arbeitsbedingungen nicht die Ausnahme bleiben?
Ich weiß nicht, ob die Politik da so viel bewirken kann. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind in Österreich eigentlich gut. Letztlich kommt es auf das Engagement der Betriebe an. Der Alltag passiert vor Ort – egal, was die Politik vorsieht.
Was wünschst du dir für die Zukunft der Landwirtschaft in Österreich – besonders im Hinblick auf die Menschen, die unser Essen mitproduzieren?
Was mich wirklich wütend macht, ist die oft abschätzige Haltung gegenüber ausländischen Arbeitskräften. Ohne sie wäre es in Österreich nicht so schön, wie es ist – und vor allem hätten wir nicht so hochwertige Lebensmittel.
Vielen Dank an Theresa Wurm! Mehr über Nachbars Garten findest du auf der Website:
https://www.nachbarsgarten.at/
Deine Unterstützung macht den Unterschied: Mit deiner Spende bewahrst du seltene Obst- und Gemüsesorten und bedrohte Tierrassen, stärkst kleine Produzent:innen und förderst ein gutes, sauberes und faires Ernährungssystem für alle. Gemeinsam setzen wir uns für die Zukunft unserer Lebensmittel ein – regional und weltweit.